Nachhaltig­keit als globale Heraus­forderung

Erdüberlastungstage global und national

Der Erdüberlastungstag (englisch Earth Overshoot Day, zunehmend seltener auch „Ecological Debt Day“, „Welterschöpfungstag“, „Weltüberlastungstag“ oder „Ökoschuldentag“) ist in einer jährlichen Kampagne der Organisation Global Footprint Network der Tag des laufenden Jahres, an dem die menschliche Nachfrage nach nachwachsenden Rohstoffen das Angebot und die Kapazität der Erde zur Reproduktion dieser Ressourcen in diesem Jahr übersteigt. Der Erdüberlastungstag ist ein Aktionstag.

Jahr Datum Verbrauch in Erde-Einheiten
1961 15. Mai 1962 0,73 (In diesem Jahr ließ die globale jährliche Ressourceninanspruchnahme noch Reserven übrig)
1970 29. Dezember 1,01 (Seitdem übersteigt der jährliche Verbrauch die global zur Verfügung stehenden Ressourcen)
1971 20. Dezember 1,03 Planeten Erde stellten ihre Ressourcen zur Verfügung
1972 10. Dezember 1,06
1973 26. November 1,10
1974 27. November 1,10
1975 30. November 1,09
1976 16. November 1,14
1977 11. November 1,16
1978 7. November 1,17
1979 29. Oktober 1,21
1980 4. November 1,18
1981 11. November 1,16
1982 15. November 1,14
1983 14. November 1,15
1984 6. November 1,18
1985 4. November 1,19
1986 30. Oktober 1,20
1987 23. Oktober 1,23
1988 15. Oktober 1,27
1989 11. Oktober 1,29
1990 11. Oktober 1,29
1991 10. Oktober 1,29
1992 12. Oktober 1,28
1993 12. Oktober 1,28
1994 10. Oktober 1,29
1995 4. Oktober 1,32
1996 2. Oktober 1,33
1997 29. September 1,34
1998 29. September 1,34
1999 29. September 1,34
2000 23. September 1,38
2001 22. September 1,38
2002 19. September 1,39
2003 9. September 1,45
2004 1. September 1,49
2005 25. August 1,54
2006 19. August 1,58
2007 14. August 1,62
2008 14. August 1,62
2009 18. August 1,59
2010 7. August 1,67
2011 4. August 1,69
2012 4. August 1,69
2013 3. August 1,70
2014 4. August 1,69
2015 5. August 1,68
2016 5. August 1,68
2017 1. August 1,71 Deutschland 24. April
2018 29. Juli 1,74 Deutschland 02. Mai
2019 29. Juli 1,74 Deutschland 03. Mai
2020 22. August 1,56 Deutschland
2021 29. Juli 1,74 Deutschland 05. Mai
2022 28. Juli 1,75 Deutschland 04. Mai
2023 2. August Deutschland 04. Mai
2024 1. August Deutschland 02. Mai

Quelle: www.wikipedia.org/wiki/Erdüberlastungstag

positive Meldung

Die Schnauze voll Ein UN-Abkommen zur Vermeidung von Plastikmüll droht blockiert zu werden

Die Schnauze voll

Berlin. Im südkoreanischen Busan hat am Montag die fünfte und letzte Runde der Gespräche über ein internationales Plastikabkommen begonnen. Sieben Tage lang verhandeln Tausende Teilnehmer aus 170 Staaten darüber, wie sich die Menge an Plastikmüll reduzieren lässt, der Ozeane, Flüsse, Land und Luft verschmutzt. Es gehe um »weit mehr als nur die Ausarbeitung eines internationalen Abkommens«, warnte der ecuadorianische Diplomat Luis Vayas Valdivieso, der die Gespräche leitet. »Die Menschheit stellt sich einer existenziellen Herausforderung.«

Ähnlich wie bei den Klimaschutzkonferenzen stehen jedoch große wirtschaftliche Interessen einem ambitionierten und verbindlichen Abkommen entgegen. Insbesondere Ölländer wie Saudi-Arabien – der Rohstoff ist Grundlage vieler Plastikprodukte – versuchen, aktiv die Verhandlungen zu blockieren. Große Industrieverbände wiederum plädieren für Beschlüsse, die den Produktionsbereich außen vor lassen. »Die Gefahr eines schwachen, unverbindlichen Abkommens ist groß«, warnte daher Moritz Jäger-Roschko von Greenpeace.

Quelle: nd DER TAG 26.11.2024

 

Abkommen soll globale Plastikverschmutzung reduzieren In Südkorea startete am Montag die fünfte Verhandlungsrunde über ein UN-Plastikabkommen

Als das Alfred-Wegener-Institut (AWI) vergangenes Jahr eine Expedition in die Arktis schickte, staunte man nicht schlecht: Selbst im Tiefseesediment weit unter dem Meereis fanden die Polar- und Meeresforscher aus Bremerhaven eine Vielzahl von Kunststoffen wie Polyethylen, Polyester, Polypropylen, Nylon und Akryl. Transporteur ist die Alge Melosira arctica, die zehnmal so viele Mikroplastikpartikel enthielt wie das umgebende Meerwasser. Diese Konzentration an der Basis der Nahrungskette stelle eine Gefahr für Lebewesen dar, sagt AWI-Forscherin Melanie Bergmann: »Die Menschen in der Arktis sind für ihre Proteinversorgung besonders auf das marine Nahrungsnetz angewiesen. Das heißt, dass sie in hohem Maße auch den darin enthaltenen Mikroplastik und Chemikalien ausgesetzt sind.«

Bergmann gehört der Scientists Coalition for an Effective Plastics Treaty an, einem Netzwerk von über 350 unabhängigen Fachleuten aus mehr als 30 Ländern, die sich für ein verbindliches Abkommen gegen Plastikverschmutzung einsetzen. 2022 beschloss die UN-Umweltversammlung, mit Verhandlungen darüber zu beginnen. In der fünften Runde, die am Montag in der südkoreanischen Stadt Busan begonnen hat, soll es nun eine Einigung geben. Mehr als 2500 Teilnehmende aus 170 Mitgliedstaaten, 480 Organisationen, UN-Einrichtungen und Industrielobby beraten in den kommenden sieben Tagen darüber, was im Vertrag konkret vorgeschrieben werden soll, bis wann die Maßnahmen umgesetzt, wie sie finanziert und kontrolliert werden sollen.

Das Problem ist schon lange bekannt: Plastik verschmutzt in gewaltigen Mengen die Umwelt zu Land, aber auch die Gewässer bis hin in fast menschenleere Gegenden. Um welche Mengen es geht, zeigt eine aktuelle Metastudie des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) auf: Demnach wurden weltweit seit den 50er Jahren rund 9200 Millionen Tonnen Plastik produziert. 58 Prozent davon landeten auf Mülldeponien, gut ein Zehntel wurde verbrannt. Laut den Leipziger Forschern gelten zwischen 1750 und 2500 Millionen Tonnen als »mismanaged« – sie dürften unkontrolliert in die Umwelt gelangt sein. »Die Befunde sprechen eine deutliche Sprache«, so die Autoren, zumindest was den »negativen Einfluss von Plastik und assoziierten Chemikalien auf die Umweltverschmutzung« angeht.

Die klare Forschungslage kommt im postfaktischen Zeitalter aber nicht überall an. »Es war ernüchternd zu erleben, wie oft Staaten Zweifel bezüglich des aktuellen Wissensstandes äußerten, um ihre Positionen zu rechtfertigen«, berichtete Meeresbiologin Bergmann von früheren Verhandlungsrunden. »Außerdem war die stark angestiegene Präsenz von Lobbyisten sehr spürbar, die zum Teil versuchten, Wissenschaftler*innen öffentlich zu diskreditieren.«

»Für das globale Plastikabkommen ist es wichtig, ambitionierte Ziele zu formulieren, die den gesamten Lebenszyklus des Plastiks in den Blick nehmen.«

Melanie BergmannAlfred-Wegener-Institut

Daher ist es kein Wunder, dass bisher ein 70-seitiger Textentwurf vorlag, der etwa 3500, teils weit auseinanderliegende Vorschläge enthält. Ob in den kommenden sieben Tagen eine Einigung gelingt, ist unklar – möglicherweise wird im Frühjahr weiter verhandelt. Besonders umstritten sind laut der Umweltorganisation Greenpeace folgende Punkte: Sollen Vorgaben für die Produktion, etwa zur besseren Wiederverwertbarkeit oder zu den verwendeten Stoffen, Teil des Abkommens werden oder geht es nur um bessere Abfallsysteme und höhere Recyclingquoten? Soll es ein Verbot bedenklicher Chemikalien und von Einwegplastik geben? Wie ist es mit Finanzmitteln für Entwicklungsländer, die die erforderlichen Maßnahmen nicht bezahlen können? Und soll die Reduktion des globalen Plastikaufkommens vorgeschrieben werden?

Laut Greenpeace blockieren insbesondere Ölländer wie Saudi-Arabien mit Unterstützung ihrer Industrielobby die Verhandlungen aktiv. Andere wie Japan wollen sich auf die Bekämpfung der Meeresverschmutzung konzentrieren und streben eher global unverbindliche Vereinbarungen an. Auch Plastics Europe spricht sich für nationale Aktionspläne und eine Beschränkung auf den Abfallbereich aus. So sagt die Chefin des Verbands der europäischen Kunststofferzeuger, Virginia Janssens: »Der beste Weg ist, dass das Abkommen die Nutzung von Kunststoffabfällen als wertvolle Ressource ermöglicht.« Allerdings gibt es auch eine »Koalition« von Staaten, die ambi-tionierte Ziele anstreben. Dazu zählen Deutschland und Frankreich sowie Südländer wie Peru und Ruanda.

Quelle: nd DER TAG  25.11.2025

COP 29 – Weltklimakonferenz – 11.11.2024 bis 22.11.2024 – Baku, Aserbeidschan

Spielregeln für CO2-Markt gesucht

Ob Preisgestaltung oder Nachhaltigkeit, gemeinsame Standards müssen noch bestimmt werden

Zur KlimaZur gehören Worte wie Kohlenstoffmärkte oder »Carbon Markets«. Da wird aber nicht mit Kohle gehandelt, sondern mit CO2-Einsparungen. Entsprechende Zertifikate bescheinigen, dass ein Staat oder Unternehmen irgendwo in der Welt Geld ausgegeben hat, um klimaschädliche Emissionen zu mindern. Diese Einsparung kann sich das Land oder das Unternehmen auf die eigene CO2-Bilanz gutschreiben – oder das Zertifikat auf dem Markt meistbietend verkaufen.

Die Idee stammt aus den Anfangszeiten der Klimapolitik. Ab 1997 wurden mit dem damaligen Kyoto-Protokoll die ersten Kohlendioxidmärkte geschaffen. Industrieländer konnten in Entwicklungsländern CO2-Projekte umsetzen und sich den Klimaeffekt anrechnen. Daneben entstand noch ein sogenannter freiwilliger CO2-Markt. In dem finanzierten Unternehmen Klimaprojekte, meist in Entwicklungsländern und gern zum Waldschutz oder für Solarkocher und ähnliches. Um die 90 Prozent dieser Zertifikate seien »Schrott« gewesen, beschreibt Friedrich Bohn vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig den Marktzustand.

»Die UN-Kriterien werden helfen, schlechte Projekte auszusieben – aber nicht alle.«

Jérôme Cochet Chef des Zertifikatehändlers Goodcarbon

Bei Waldprojekten sei das Geschäftsmodell darauf hinausgelaufen, eine möglichst schlimme Entwaldungsgeschichte zu erzählen, um dann – wenn der Wald erhalten bleibt – eine möglichst große Menge gespeicherten Kohlenstoffs errechnen und entsprechend viele Zertifikate verkaufen zu können, erklärt der Ökosystemmodellierer in einem Podcast des Magazins Klimareporter.

Quer durch Politik, Wirtschaft und Wissenschaft ging deswegen ein Aufatmen, als gleich zum Start des diesjährigen Weltklimagipfels im November in Baku endlich der Artikel 6 des Pariser Klimaabkommens, der die Kohlenstoffmärkte regeln soll, verabschiedet wurde. Aus den Fehlstellen bisheriger Kohlenstoffmärkte hat die Klimagemeinschaft offenbar gelernt. So soll es für Waldprojekte bessere und einheitlichere Standards geben, um den realen Klimaeffekt zu berechnen, lobt Friedrich Bohn.

Bis die aber wirklich starten können, dauert es noch. Anfang nächsten Jahres wird erst einmal das entsprechende Markt-Aufsichtsgremium seine Arbeit aufnehmen. Zu klären sind auch noch einige Regeln – etwa, wie dauerhaft das CO2 in Biomasse oder bei technischen Verfahren wie der CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) gebunden werden muss, damit es als Minderung anrechenbar ist. Die Zeitspanne reicht hier bei Biomasse von Jahren bis zu Jahrzehnten und bei unterirdischer Speicherung bis zu eintausend Jahren. Auch fehlt dem Carbon Market 2.0 noch ein Register, also eine CO2-Buchhaltung, um Betrug und Trickserei zu erschweren.

Am meisten Kopfzerbrechen bereitet den Fachleuten aber der Umstand, dass der CO2-Markt nicht von selbst in Gang kommt. So geistern noch immer alte Emissionsgutschriften aus der Zeit des Kyoto-Protokolls herum und drücken den Preis für neue Zertifikate nach unten. Diese alten »Junk Bonds« sollten aus dem Markt genommen werden, wurde in Baku gerade von Investoren aus dem arabischen Raum gefordert.

Diesen gefällt aber auch wenig, dass die CO2-Minderungsprojekte künftig nach High-Quality-Standards bewertet werden sollen. Kriterien sind hier nicht nur eine ehrlichere CO2-Bilanzierung, sondern auch das Einbeziehen lokaler Gemeinschaften und eine Klimaversicherung der Projekte. Zum Beispiel müssten, wenn ein CO2-Spar-Wald abbrennt und der Kohlenstoff als CO2 wieder frei wird, Ersatz-Zertifikate beschafft werden.

All das kostet wiederum Geld. Wird das Generieren von CO2-Zertifikaten aber zu teuer, würde es sich beispielsweise nicht lohnen, in rauen Mengen Erdgas anzubieten, dessen CO2-Gehalt per Zertifikat künstlich abgesenkt ist und das dann als »CO2-armes Gas« vermarktet werden könnte. Insbesondere Vertreter von Öl- und Gasförderern plädierten in Baku dafür, die Standards nicht zu hoch anzusetzen. Jede eingesparte Tonne CO2 sei doch besser als keine eingesparte, argumentierten sie. Andere Länder wie Deutschland setzen sich dagegen für verpflichtende Mindeststandards ein.

Eine weitere Voraussetzung dafür, dass der Kohlendioxidmarkt in Gang kommt, ist ein deutlich höherer CO2-Preis, und zwar global. Die Rechnung geht so: Im europäischen Emissionshandel kostet die Emission einer Tonne CO2 derzeit 60 bis 70 Euro. Will man Kohlendioxid zum Beispiel technisch per CO2-Abscheidung aus der Luft holen – das sogenannte »Direct Air Capture« –, kostet das pro Tonne derzeit bis zu 1000 Euro, später vielleicht 200 bis 300 Euro. Für Unternehmen ist es gegenwärtig also noch deutlich günstiger, den CO2-Preis zu bezahlen als in solche technischen CO2-Minderungsprojekte zu investieren.

Deswegen rechnet die Branche damit, dass in der nächsten Zeit eher biogene CO2-Senken wie Wälder, Moore, Aufforstung oder Algenfarmen das begehrte Ziel der Kohlenstoffmärkte sein werden. Dass nun erstmals Standards für den internationalen Handel von CO2-Zertifikaten unter UN-Aufsicht festgelegt sind, ist für Jérôme Cochet ein wichtiger Schritt, damit der Markt entstehen kann. Dies reiche zur alleinigen Qualitätssicherung aber nicht aus, betont der Chef des Berliner Zertifikatehändlers Goodcarbon.

»Es sollte nicht der Eindruck entstehen, dass CO2-Bindungsprojekte dank UN-Siegel jetzt keine weiteren Qualitätskontrollen mehr brauchen«, warnte Cochet. »Die UN-Kriterien werden helfen, schlechte Projekte auszusieben –aber nicht alle.« Dem Gamechanger fehlen offenbar noch einige gute Spielregeln.

Klimapolitik per Prinzip Hoffnung

Kurt Stenger über maue Ergebnisse und vage Perspektiven der UN-Konferenz von Baku

Angesichts der sich weiter verschärfenden Klimakatastrophe kann es nicht sein, dass sich die UN-Konferenzen von Minimalkonsens zu Minimalkonsens dahinschleppen. Zuletzt ging es nur noch soweit voran, wie es der Letzte noch mittragen will – obwohl die Zeichen auf mehr Ambition und Eile stehen. Doch der immer wieder zu hörende Ruf nach alternativen Veranstaltungen geht leider auch ins Leere, mangels Formaten oder Erfolgschancen, wenn sich einige wenige Länder zusammentun, die es ernst meinen. Fatalismus und ein »Rette sich, wer kann« ist natürlich ebenfalls keine Option, da es insbesondere für arme, vulnerable Länder schlicht um die Existenz geht.

Und so richten sich die Blicke aktuell auf COP 30 in einem Jahr mit Brasilien als Gastgeber, der die Gefahren der Erderwärmung ernst nimmt. Zwar konnte die dortige Linksregierung als Ausrichter des jüngsten G20-Gipfels den gordischen Knoten nicht durchschlagen, aber in deutlich größerer Runde auf UN-Ebene stehen die Chancen besser. Letztlich bleibt das Prinzip Hoffnung, dass dann »ein ehrlicher Makler« für den Klimaschutz und für arme Länder die fossilen Interessen in die Schranken weist.

Trotz geopolitischen Gegenwinds habe man sich durchweg jede Mühe gegeben, »ein ehrlicher Makler« für alle Seiten zu sein. Dieser Satz von Mukhtar Babayev, dem Umweltminister des Ölstaats Aserbeidschan und Leiter der diesjährigen UN-Klimakonferenz, zeigt geradezu bespielhaft das derzeitige Elend der COP-Diplomatie auf. Die Euphorie nach der Verabschiedung und Ratifizierung des Pariser Weltklimaabkommens ist längst einem Realismus gewichen, bei dem Partikularismus und Lobbyismus den Ton angeben. Doch man kann eigentlich nicht von Klimagipfel reden, wenn der jetzige Gastgeber den Kampf gegen die Erderwärmung auf eine Stufe mit Interessen der fossilen Wirtschaft stellen.

Die Kritik an der Konferenzleitung bei COP 29 in Baku, die viele Teilnehmer von Entwicklungsländern über Klimaschützer bis hin zur deutschen Chefverhandlerin Annalena Baerbock anstimmten, ist sicher berechtigt. Doch letztlich kommt der Gastgeber damit nur dann durch, wenn es die Starken zulassen. Im Windschatten des Oberbösewichts Saudi-Arabien segelten in Baku aber die USA, China und Russland, die den Ausstieg aus den Fossilen ebenfalls zu hintertreiben versuchen, aber zum Teil auch die EU mit ihrem wichtigsten Staat Deutschland: nicht nur, weil man weiter Großverbraucher von Öl und Gas ist, sondern auch, weil man bei der Finanzierung in armen Ländern massiv auf die Bremse tritt. Die eigenen Haushaltsprobleme sind der aktuellen Rumpfregierung in Berlin eben doch näher als die Klimaziele. Diese werden sich nur dann erreichen lassen, wenn den armen Ländern die entsprechenden finanziellen Mittel zum Gegensteuern zur Verfügung gestellt werden. Zwar strebt die Staatengemeinschaft nun den notwendigen Quantensprung von Milliarden zu Billionen an, doch die Realisierung bleibt völlig nebulös. Zumal sich die Industriestaaten als Hauptverursacher der Klimakrise winden wie Aal.

Angesichts der sich weiter verschärfenden Klimakatastrophe kann es nicht sein, dass sich die UN-Konferenzen von Minimalkonsens zu Minimalkonsens dahinschleppen. Zuletzt ging es nur noch soweit voran, wie es der Letzte noch mittragen will – obwohl die Zeichen auf mehr Ambition und Eile stehen. Doch der immer wieder zu hörende Ruf nach alternativen Veranstaltungen geht leider auch ins Leere, mangels Formaten oder Erfolgschancen, wenn sich einige wenige Länder zusammentun, die es ernst meinen. Fatalismus und ein »Rette sich, wer kann« ist natürlich ebenfalls keine Option, da es insbesondere für arme, vulnerable Länder schlicht um die Existenz geht.

Und so richten sich die Blicke aktuell auf COP 30 in einem Jahr mit Brasilien als Gastgeber, der die Gefahren der Erderwärmung ernst nimmt. Zwar konnte die dortige Linksregierung als Ausrichter des jüngsten G20-Gipfels den gordischen Knoten nicht durchschlagen, aber in deutlich größerer Runde auf UN-Ebene stehen die Chancen besser. Letztlich bleibt das Prinzip Hoffnung, dass dann »ein ehrlicher Makler« für den Klimaschutz und für arme Länder die fossilen Interessen in die Schranken weist.

Quelle: nd DER TAG 24.11.2024

Klimakrise nicht kompensierbar
Der erste Beschluss der Weltklimakonferenz hat es nicht in sich

Wenn Rückenschmerzen plagen, versucht der Körper, das durch Schonhaltung zu kompensieren, die über längeren Zeiraum aber nur zu schlimmeren Beschwerden führt. Ähnlich verhält es sich mit der Kompensation von CO2-Emissionen: Kurzfristig sollen neue Klima-schutzprojekte nicht vermeidbaren Ausstoß von Firmen ausgleichen, was eigene Anstrengungen bremst. Zudem haben viele Projekte mangels ausreichender Standards und Kontrolle kaum oder deutlich geringeren Klimaeffekt als angenommen, dienen letztlich nur dem Greenwashing der Zahler – vor allem Öl- und Gaskonzerne, Autobauer und Fluggesellschaften.

nd – DER TAG  12.11.2024

UN-Regeln für Greenwashing
Weltklimakonferenz in Baku fasst Beschluss zum Umgang von CO2-Kompensationen für Firmen

Christian Mihatsch, Baku

Bereits am ersten Tag der 29. UN-Klimakonferenz (COP 29) in Aserbaidschans Hauptstadt Baku wurde ein Beschluss gefasst – und löste prompt massive Proteste vieler zivilgesellschaftlicher Organisationen aus. Auf den ersten Blick ging es hierbei um ein extrem technisches Thema: Artikel 6.4 des Pariser Klimaschutzabkommens zu den Regeln für CO2-Kompensationen. Diese sollen es Firmen ermöglichen, ihre unvermeidbaren Treibhausgasemissionen auszugleichen, indem sie in Klimaschutzprojekte investieren. Damit sollte sich, zumindest theoretisch, auch Geld insbesondere in ärmeren Ländern mobilisieren lassen.

Gleichzeitig gibt es seit Langem Kritik an dem praktizierten »Ablasshandel«: Wegen der schlechten Standards und mangelnder Kontrolle der Projekte gehe es hier vor allem um Greenwashing – Unternehmen oder Staaten stellen sich klimafreundlichen dar, als sie es tatsächlich sind. Im vergangenen Jahr wurde dann ein Skandal publik. Der Marktführer für CO2-Kompensationen, South Pole, musste daraufhin sein weltweit größtes Waldschutzprojekt stoppen, weil in Simbabwe Millionen Tonnen von CO2 nur auf dem Papier eingespart wurden. Das Beratungsunternehmen aus der Schweiz soll ferner Geheimverträge mit Erdöl- und Erdgasfirmen geschlossen haben.
nd – DER TAG  12.11.2024

Gegengipfel: „Wir brauchen eine Klutur des Widerstands“
Lukas Hufert von „Debt for Climate“ über den aktivistischen Gegengipfel zur UN-Konferenz in Oacaca, Mexiko

Die UN-Klimakonferenz COP 29 begann am Montag in Aserbaidschan, die Anti-COP fand in Mexiko statt. Warum protestieren Sie nicht vor Ort?

Die Anti-COP ist weit mehr als nur Protest gegen die COP 29 in Baku. Sie soll eine echte Alternative darstellen, die der offiziellen Klimakonferenz ihre Legitimität entzieht. Deshalb haben wir uns für einen eigenen Ort entschieden. Dazu kommen auch praktische Gründe: In Mexiko gibt es viele aktive Gruppen und Strukturen, die es uns ermöglichten, eine selbstbestimmte Konferenz zu veranstalten.

Wie wirkt sich dieser Ansatz auf den Inhalt aus?

Die COP beschränkt sich ausschließlich auf Klimaschutz, übersieht jedoch die ausbeuterischen Strukturen, die fortbestehen. Unser Fokus liegt auf dem »Guten Leben für Alle« – das Klima ist dabei natürlich ein zentrales Thema, aber nicht das einzige. Wir haben uns vier Schwerpunkten gewidmet: erstens den Megaprojekten wie großen Minen oder dem Tren Maya hier in Mexiko, einer gigantischen Bahnstrecke, die durch den Regenwald führt. Zweitens der globalen Wasserkrise, die durch die Klimakrise und Umweltverschmutzung immer drängender wird; viele Gemeinschaften kämpfen weiterhin um Zugang zu sauberem Wasser. Drittens Flucht und Migration, die zum Teil eben durch Megaprojekte, aber auch durch staatliche Gewalt oder organisierte Kriminalität ausgelöst werden. Und viertens die Kommerzialisierung des Lebens – also die zunehmende Verwandlung von allem in Güter, die dem kapitalistischen Markt unterworfen sind.

Wer nahm an der Anti-COP teil?

Die Anti-COP ist ein Raum für all jene, die an den Frontlinien kämpfen – sei es gegen die Klimakrise, gegen extraktivistische Megaprojekte oder in der Unterstützung von Geflüchteten und Migrant*innen. Darunter waren auch viele Vertreter*innen indigener Gruppen aus der ganzen Welt, die zwar bei der COP manchmal eingeladen werden, dort aber selten Gehör finden. Es waren zum Beispiel Aktivist*innen aus Aruba dabei – die karibische Insel wird von den Auswirkungen der Klimakrise besonders hart getroffen. Ein Teilnehmer erzählte mir, dass die Strände, an denen er aufgewachsen ist, langsam im Meer verschwinden. Offiziell gehört Aruba zu den Niederlanden, solche kolonialen Strukturen wirken fort. Auf der COP 29 wird Aruba durch die Niederlande vertreten – durch Personen also, die wenig Verständnis für die Herausforderungen in der Karibik haben. In Mexiko hingegen konnten die Aktivist*innen ihre Stimme erheben.

Sie sind bei der Bewegung »Debt for Climate« aktiv. Welche Aufgabe haben Sie im Rahmen der Anti-COP übernommen?

Wir haben die Konferenz mitorganisiert und waren vor Ort in der Social-Media-Arbeit aktiv. Hier waren wir mit 15 bis 20 Leuten, die meisten davon stammen aus Mexiko. Ich habe auch einen Workshop gegeben. Wenn ich in Deutschland über das internationale Schuldensystem spreche, merke ich oft, dass zwar Interesse besteht, es aber an Wissen fehlt. Auf der Anti-COP war das anders. Denn die Leute wissen, dass nicht der globale Süden dem globalen Norden etwas schuldet, sondern dass es genau umgekehrt ist: Der globale Norden hat gegenüber dem Süden Klima- und Kolonialschulden. Auch dass Schulden als Machtinstrument eingesetzt werden, ist bei denjenigen, die von diesem System betroffen sind, einfach viel präsenter.

Die offizielle Klimakonferenz ist immer auch ein großes Medienevent. Wie war die Resonanz auf die Anti-COP?

Die Anti-COP hat den Austausch gefördert. Anders als bei der COP sprachen die Menschen hier mit einer angemessenen Radikalität über die Themen. Oft wird Klimaschutz nur im Rahmen des derzeitigen Systems betrieben, was letztlich bestehende Ungerechtigkeiten fortsetzt. Das mediale Interesse an der Anti-COP hielt sich in Grenzen, auch wenn einige Journalist*innen vor Ort waren. Vermutlich lag das daran, dass dieses Format noch recht jung ist. Im vergangenen Jahr fand in Kolumbien mit der »Boycott COP 28« eine ähnliche Veranstaltung statt, und die diesjährige Anti-COP baute darauf auf. Ich bin zuversichtlich, dass sie von Jahr zu Jahr bekannter wird und immer mehr Aktivist*innen anzieht. In Oaxaca haben wir die Anti-COP bewusst offen gestaltet: Neben internen Treffen gab es jeden Tag öffentliche Workshops und Vorträge, sowohl in der Stadt als auch an der Universität. Diese Veranstaltungen stießen auf großes Interesse – die Seminarräume waren oft voll. Das zeigt, dass wir die Menschen vor Ort erreicht haben.

Welche Erkenntnisse nehmen Sie von der Anti-COP mit nach Deutschland?

Neben den internationalen Kontakten, die ich hier geknüpft habe, bleibt bei mir vor allem eine Aussage hängen: »Wir müssen eine Kultur des Widerstands etablieren.« Viele von uns handeln momentan nicht widerständig genug. Zwar suchen viele Gruppen die Konfrontation, doch oft wird diese nicht konsequent zu Ende geführt. Um uns wirklich der Zerstörung entgegenzustellen, müssen wir entschlossener und mutiger werden!
Quelle: nd DER TAG 11.11.2024

Trotz geopolitischen Gegenwinds habe man sich durchweg jede Mühe gegeben, »ein ehrlicher Makler« für alle Seiten zu sein. Dieser Satz von Mukhtar Babayev, dem Umweltminister des Ölstaats Aserbeidschan und Leiter der diesjährigen UN-Klimakonferenz, zeigt geradezu bespielhaft das derzeitige Elend der COP-Diplomatie auf. Die Euphorie nach der Verabschiedung und Ratifizierung des Pariser Weltklimaabkommens ist längst einem Realismus gewichen, bei dem Partikularismus und Lobbyismus den Ton angeben. Doch man kann eigentlich nicht von Klimagipfel reden, wenn der jetzige Gastgeber den Kampf gegen die Erderwärmung auf eine Stufe mit Interessen der fossilen Wirtschaft stellen.

Die Kritik an der Konferenzleitung bei COP 29 in Baku, die viele Teilnehmer von Entwicklungsländern über Klimaschützer bis hin zur deutschen Chefverhandlerin Annalena Baerbock anstimmten, ist sicher berechtigt. Doch letztlich kommt der Gastgeber damit nur dann durch, wenn es die Starken zulassen. Im Windschatten des Oberbösewichts Saudi-Arabien segelten in Baku aber die USA, China und Russland, die den Ausstieg aus den Fossilen ebenfalls zu hintertreiben versuchen, aber zum Teil auch die EU mit ihrem wichtigsten Staat Deutschland: nicht nur, weil man weiter Großverbraucher von Öl und Gas ist, sondern auch, weil man bei der Finanzierung in armen Ländern massiv auf die Bremse tritt. Die eigenen Haushaltsprobleme sind der aktuellen Rumpfregierung in Berlin eben doch näher als die Klimaziele. Diese werden sich nur dann erreichen lassen, wenn den armen Ländern die entsprechenden finanziellen Mittel zum Gegensteuern zur Verfügung gestellt werden. Zwar strebt die Staatengemeinschaft nun den notwendigen Quantensprung von Milliarden zu Billionen an, doch die Realisierung bleibt völlig nebulös. Zumal sich die Industriestaaten als Hauptverursacher der Klimakrise winden wie Aal.

Quelle: nd DER TAG  12.11.2024

16. UN-Konferenz über biologische Vielfalt – 20.10.2024 – 01.11.2024 – 01.11.2024 – Cali, Kolumbien

16. Vertragsstaatenkonferenz des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (CBD COP 16)

Die 16. Vertragsstaatenkonferenz des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (CBD COP 16) wird vom 20. Oktober bis 1. November 2024 in Cali, Kolumbien, stattfinden.

Die CBD COP 16 wird circa 20 inhaltliche Agenda-Punkte umfassen, aus denen sich insgesamt knapp 30 Beschlüsse ergeben werden. Im Zentrum der CBD COP 16 steht einerseits die Ausgestaltung von Umsetzungsinstrumenten der globalen Vereinbarung für biolo- gische Vielfalt (Global Biodiversity Framework, GBF). Darunter sind neben den Themen Monitoring und Finanzierung auch Biodiversität und Klimawandel. Andererseits wird das Fachthema Digitale Sequenzinformationen zu genetischen Ressourcen eine herausragende Rolle in den Verhandlungen spielen.

Neben der CBD COP 16 werden in Cali auch die Treffen der Vertragsparteien zu den beiden zugehörigen Protokollen der CBD statt- finden: Das 11. Treffen der Vertragsparteien zum Cartagena-Protokoll zur biologischen Sicherheit (COPMOP 11) und das 5. Treffen zum Nagoya-Protokoll über den Zugang zu genetischen Ressourcen und die ausgewogene und gerechte Aufteilung, der sich aus ihrer Nutzung ergebenden Vorteile (COPMOP 5).

Die deutsche Delegation in Cali wird durch Bundesumwelt- und Naturschutzministerin Steffi Lemke als nationale Verhandlungs-führerin geleitet. Begleitet wird sie vom Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesumweltministerium, Dr. Jan-Niclas Gesenhues, und von Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Quelle: https://www.bmuv.de/veranstaltung/cbd-cop-16

Die EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur

Hintergrund

Naturnahe Wälder, frei fliessende Flüsse, intakte Moore, lebendige Agrarlandschaften und gesunde Meere bilden unsere Lebensgrundlage. Diese Ökosysteme erzeugen Sauerstoff, reinigen Luft und Wasser, binden Kohlendioxid aus der Atmosphäre und regulieren das Klima der Erde. Sie sind unser Lebens- und Erholungsraum und sichern uns Nahrung, Rohstoffe und Einkommen. Intakte Ökosysteme helfen uns beim Kampf gegen die Klimakrise und sind unser Schutzschirm gegen Naturkatastrophen wie Dürren, Hitzewellen und Überschwemmungen. Ihre lebenswichtigen Funktionen können sie aber nur erfüllen, wenn sie gesund sind.

Doch der Klimawandel, der Verlust der biologischen Vielfalt und die nicht nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen zählen zu den größten Bedrohungen für die Gesellschaft und Wirtschaft der Länder in der Europäischen Union (EU) in den kommenden Jahrzehnten. Die Lage der Natur ist dramatisch: Selbst von den europäisch geschützten Lebensräumen waren EU-weit bereits 2018 81 Prozent in schlechtem Zustand.

Gleichzeitig hängen nach offiziellen Beschäftigungsstatistiken des Europäischen Parlaments von 2019, allein in der Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion EU-weit rund 13,3 Millionen Beschäftigte direkt und indirekt von intakten Ökosystemen ab. Auch für viele weitere Wirtschaftssektoren bildet eine gesunde Natur die Existenzgrundlage. Bisherige Anstrengungen konnten den Rückgang der gefährdeten Lebensraumtypen und das Aussterben vieler Arten nicht stoppen. Deshalb ist es notwendig, neue EU-weite Ansätze zu verfolgen, die es ermöglichen, unsere Lebensgrundlagen wirksam zu sichern. Mit der EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur (WVO) steht nun erstmals ein Instrument bereit, das die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, geschädigte Ökosysteme wieder in einen guten Zustand zu bringen, den Verlust der Artenvielfalt aufzuhalten und darüber hinaus eine Trendumkehr zu erreichen. Dafür gibt die WVO klare Ziele und Fristen vor.

Handlungsbedarf

Europäische Ökosysteme stehen unter wachsendem Druck und leiden unter vielfältigen Stressoren wie den Auswirkungen des Klimawandels, der Aufgabe extensiver Landwirtschaft beziehungsweise der Intensivierung der Bewirtschaftung, Veränderungen im Wasserhaushalt und der Einbringung oder Ausbreitung invasiver gebietsfremder Arten. Sie führen zur Degradierung und zum Verlust von Ökosystemen. Über 80 Prozent der geschützten Moore befinden sich laut Europäischer Kommission in einem schlechten und unzureichenden Erhaltungszustand. Wissenschaftliche Untersuchungen der Internationalen Gruppe zur Erhaltung der Moore (IMCG) schätzen, dass etwa 50 Prozent der Moorfläche in der EU für die land- und forstwirtschaftliche Nutzung sowie für den Torfabbau entwässert sind. Der Weltbiodiversitätsrat (IPBES) berichtet zur biologischen Vielfalt und Ökosystemleistungen in Europa, dass nicht nur die Populationen von Insekten, sondern auch 60 Prozent der Amphibien und 71 Prozent der Fische drastisch zurückgegangen sind. Viele Wälder sind von langen Trockenperioden und der Zunahme von Schädlingen betroffen und die Meeresökosysteme leiden unter Übernutzung, Klimawandel, Artenschwund, Umweltverschmutzung und invasiven Arten.

Auch in Deutschland ist der Zustand der Artenvielfalt alarmierend: Auf den Roten Listen werden ein Drittel der bewerteten Arten als bestandsgefährdet oder bereits ausgestorben geführt. Besonders gravierend ist der Rückgang der bestäubenden Insekten. Fast die Hälfte aller Wildbienenarten ist gefährdet und mehr als ein Drittel der Schwebfliegenarten in Europa ist vom Aussterben bedroht. Gleichzeitig hängen fast 90 Prozent der wildblühenden Pflanzen von Insektenbestäubung ab, unterstreicht die deutsche Koordinierungsstelle des Weltbiodiversitätsrates (IPBES). Der starke Rückgang der Bestäuber gefährdet somit auch unmittelbar die Ernährungssicherung der Menschen in der EU.

In seinem Sechsten Sachstandsbericht warnt der Weltklimarat (IPCC) bereits 2020, dass sich die Natur, selbst bei einer Begrenzung des Temperaturanstiegs auf 1,5 °C (Grad Celsius), nur schwer anpassen kann und das Risiko für den weiteren Verlust von Arten und den damit verbundenen Lebensgrundlagen besteht. Umgekehrt wirken intakte Wälder, Feuchtgebiete, Auen und Moore als natürliche Klimaschützer. Sie speichern Wasser bei Trockenheit, nehmen Hochwasser bei Überflutungen auf, regulieren die Temperaturen in ihrer Umgebung und wirken als bedeutende Kohlenstoffsenken.

Umsetzung des internationalen Rechts

Seit 2020 verfolgt die Bundesregierung die EU-Biodiversitätsstrategie für 2030, die darauf zielt, dass sich die biologische Vielfalt in Europa bis 2030 auf dem Weg der Erholung befindet. Die Verordnung zur Wiederherstellung der Natur gehört zu ihren Kernelementen. Damit ist die WVO essenzieller Bestandteil des europäischen Green Deal mit seiner ambitionierten Umwelt-, Naturschutz-und Klimapolitikmit dem unter anderem bis 2050 Klimaneutralität erreicht werden soll.

Im Dezember 2022 hat sich die EU, im Rahmen des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (CBD), mit der Unterzeichnung des Globalen Biodiversitätsrahmens von Kunming-Montreal (GBF) unter anderem dazu bekannt, seine Ökosysteme wiederherzustellen und den Verlust der biologischen Vielfalt aufzuhalten. Darüber hinaus fordert die UN-Dekade zur Wiederherstellung von Ökosystemen (2021–2030) dazu auf, weltweit den Verlust und die Degradierung von Ökosystemen zu verhindern, aufzuhalten und umzukehren. Sie unterstützt die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen und die UN-Konventionen zur biologischen Vielfalt (CBD), zum Klimawandel (UNFCCC) und zur Wüstenbekämpfung (UNCCD).

Mit der WVO geht die EU bei der Umsetzung dieser internationalen Abkommen voran, indem sie einen konkreten Zeitrahmen und ausdifferenzierte und messbare Zwischenziele und Ziele vorgibt.

Ziele und Maßnahmen

Übergeordnetes Ziel der WVO ist die kontinuierliche Erholung der Natur, insbesondere die Erhöhung der Artenvielfalt und der Widerstandsfähigkeit der Ökosysteme sowie die Erfüllung der Klimaschutzziele und der internationalen Vereinbarungen. Sie verpflichtet die Mitgliedstaaten dazu, geschädigte Ökosysteme wiederherzustellen und Maßnahmen festzulegen und zu ergreifen. Die WVO baut auf bestehenden EU-Richtlinien zum Naturschutz, wie der Fauna-Flora-Habitatrichtlinie und der Vogelschutzrichtlinie, auf und verleiht deren Umsetzung mit klaren Zeit- und Flächenvorgaben neuen Schub und unterstützt damit auch die Umsetzung von EU-Gewässerschutz-Richtlinien. So nutzt die WVO beispielsweise viele bereits etablierte Indikatoren aus bestehenden EU-Umweltschutzgesetzgebungen in der Fortschrittsbeobachtung, geht aber gleichzeitig in ihrer Zielsetzung und Ambition über die bestehende Gesetzgebung hinaus.

Das übergreifende Ziel der WVO ist es, bis 2030 auf mindestens 20 Prozent der Land- und mindestens 20 Prozent der Meeresfläche der EU, die der Wiederherstellung bedürfen, Wiederherstellungsmaßnahmen zu ergreifen. Bis 2050 sollen alle Ökosysteme mit Maßnahmen abgedeckt sein, die der Wiederherstellung bedürfen. Dabei sollen auch Maßnahmen bei der Umsetzung anderer Richtlinien, wie der Wasserrahmenrichtlinie, der Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie oder der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie berücksichtigt werden.

Quelle: https://www.bmuv.de/themen/naturschutz/wiederherstellung-von-oekosystemen